Ich habe mich schon oft gefragt, wie es uns passieren konnte, dass wir, die wir am Fuße der Siebenbürger Karpaten zur Welt kamen, das Gefühl haben, einem einzigartigen und besonders bevorzugten Landstrich zu entstammen. Wie ist, bei aller Erfahrung und abwägenden Vernunft, dieses beharrliche commitment zu erklären. Und ich zweifle nicht daran, dass wir damit unzähligen anderen Menschen auf der ganzen Welt gleichen, die sich alle auf ihren eigenen interessanten und unverwechselbaren genius loci beziehen: Nur Gleichgültigkeit oder eine abgestumpfte Wahrnehmung können uns daran hindern, die Einzigartigkeit jedes Ortes auf dieser Erde zu erkennen.
Ich werde hier versuchen, das Umfeld jener lokalen Eigenheiten aus der Sicht meiner Kindheit zu beschreiben, die ich Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts im Burzenland verbrachte. Ich wurde in Râsnov, in Rosenau geboren, in der Brückengasse, unterhalb der Burg, die Anfang des dreizehnten Jahrhunderts erbaut wurde, gleich nach der Ansiedlung der Sachsen in dieser Gegend Europas. Dieser Ort ist der südöstlichste Punkt des Siebenbürger Gebiets und gleichzeitig die höchstgelegene sächsische Siedlung. Bis zur Bildung Großrumäniens nach dem ersten Weltkrieg stieß die südliche Grenze des Râsnover Lands an die Staatsgrenze des alten rumänischen Königreichs. Die Überreste der Grenzmauer sind noch heute im Gras zu erkennen.
Wie soll man eine Identität anders definieren als mithilfe der einen oder anderen Konstante. Was geschah mit diesen Konstanten, während das Land die großen Veränderungen der Fünfzigerjahre erlebte? Wie mischte sich das Neue mit dem Alten, wie mischte sich, was gut war, mit dem Schlechten, vor dem Hintergrund dieses besonderen Zugehörigkeitsgefühls, mag es auch noch so illusorisch sein, wie so viele andere Dinge im Leben. Doch beständig trotzt es der Migration, der Geschichte, der Ironie. Es wurde nicht nur einmal zum Selbstschutz verheimlicht: wenn sogar die Pflanzen vorgeben gleichgültig zu wachsen, wie der Dichter Michael Astner schreibt.
Die Konstanten der Landschaft von Rosenau (ein sich im Kleinen wiederholendes Siebenbürgen), die meiner Generation, Mitte des letzten, kaum vergangenen Jahrhunderts, ins Auge fielen: die Burg natürlich, das erste besondere Wahrzeichen, dann die lutheranische Kirche aus dem 14. Jahrhundert und zwei orthodoxe Kirchen im rumänischen Teil des Dorfes; die weite Fläche des Tals von einer hohen Bergkette umgeben. Die lichtdurchfluteten Eichen- und Fichtenwälder, die kahlen alpinen Höhenzüge. Eine Landschaft, die ihren Bewohnern stillschweigend ein Gefühl der Grenzenlosigkeit einpflanzt, gepaart mit einem Sinn für Maß, Begrenzung und Gleichgewicht. „Hier sind wir geschützt vor dem kalten Wind, der aus der russischen Steppe kommt„, sagte man uns, als wir klein waren. Wir schwatzten von frühester Kindheit an, hingen dabei in den Bäumen der von der Mauer umgebenen Obstplantagen, saßen auf den Heuhaufen wie in einem Nest oder baumelten mit den Beinen von einer der Brücken, die unsere Straße vom Burghügel bis hinunter zum Stierhaus des Herrn Gagesch rhythmisch unterbrachen. Genauer gesagt: ein sächsisches Kind von fünf bis sechs Jahren sprach nicht nur seine Muttersprache, den mittelalterlichen Dialekt, der sich nur noch hier befand, sondern auch Deutsch und Rumänisch. Wir haben die besten Kartoffeln, so lobten wir uns ... Lass nur, Kartoffeln haben alle, meinte jemand (ein kleiner Siebenbürger kann sich die Welt nicht ohne Kartoffeln vorstellen) ... aber Enzian* und Alpenrosen* wie bei uns ... und Edelweiß*. Nicht mal in der Schweiz haben sie so schönes Edelweiß. Die Minni-Tante sagte mir, dass es verboten ist, es zu pflücken, der Berg rächt sich sonst. Na und? Hab ich welche gepflückt? ZWEI!, rief Karli stolz. Und schwarze Bergziegen ... ich hatte einen Onkel, der war der größte Bergziegenjäger. Welcher Onkel? Wo ist der? ... Woher soll ich das wissen? Das geht mich nichts an. Plötzlich gelangte man an den Punkt, wo man nicht mehr weiter fragte. Ich lernte die Lektion des Schweigens von den Großen.